«AFRIKA STELLT DEINE GLAUBENSSÄTZE IN FRAGE - 27. April 2022

Langsam, aber sicher öffnet sich die Welt wieder und mich interessiert besonders Afrika. Deshalb habe ich mit Lena Wendt gesprochen. Die 36-jährige Videojournalistin aus Deutschland lebt seit 2019 auf dem Kontinent, ist mittlerweile mit einem Marokkaner verheiratet und kennt Afrika auch dank früherer ausgedehnter Reisen bestens. Die 36-Jährige interessiert sich nicht für Luxus-Resorts, sondern lebt mit den Menschen, die sie auf ihren Reisen trifft. Die faszinierenden, aber auch traurigen Erlebnisse hat sie in ihrem gerade erschienenen Buch «Danke, Afrika!» festgehalten. Ich kann es nur empfehlen.

Was fasziniert Dich so an Afrika?

Es gibt dort eine andere, erdigere Energie, während sich in Europa viel im Kopf und in den Gedanken abspielt. Afrikaner haben Bodenhaftung. Selbst wenn ihre Situation schwierig ist, können sie noch lachen, Musik machen und nett zu anderen sein. Das finde ich sehr anziehend. Und der Kontinent ist unglaublich schön und so anders, von der Kultur, den Sprachen, der Landschaft und dem Aussehen der Menschen her. Im Süden begeistert mich die Natur, während mich in Westafrika vor allem die Traditionen und die Musik faszinieren. Ich empfinde Afrika als sehr reich.

Pressefotos Danke Afrika Lena Wendt Mama Limbo die beste Trommelgruppe Gambias

Es ist aber auch ein Kontinent der Kontraste. Was muss ich aushalten können, wenn ich nicht nur all-inclusive machen, sondern den Alltag erleben will?

Wer in die touristischen Regionen von Kenia oder Gambia reist, muss damit rechnen, ständig angebaggert zu werden. Viele Touristinnen gehen dorthin, um in erster Linie Spass zu haben. Als allein reisende Weisse wird man automatisch auch in diese Kategorie eingeordnet. Reisende sollten sich auch bewusst sein, dass das Leben in Afrika knallhart und sehr direkt ist. In einem Moment geniesst man ein wunderbares Essen, im nächsten Augenblick stinkt es zum Teufel, weil da ein totes Dromedar liegt, das vor sieben Tagen überfahren wurde. Oder man kriegt mit, dass gerade ein sehr junger Mensch gestorben ist. Ich finde, dass es weniger darum geht, was man aushalten kann, sondern welche Perspektive man einnimmt. Wie gehen die Menschen in Afrika mit all den Dingen um? Was kann ich von ihnen lernen? Ich hänge ich mich immer an Kinder, wenn ich reise. Dann lerne ich gleich ihre Welt kennen, ein paar Wörter ihrer Sprache, vielleicht ihr Zuhause und werde viel weniger angemacht. Unabdingbar für Afrika-Reisende ist Offenheit für die Menschen dort. Man muss sich auf sie einlassen können, sonst erlebt man nichts. Aber natürlich sollte man immer auf das Bauchgefühl hören: Mit wem kann ich beispielsweise etwas trinken gehen und mit wem nicht.

Welches Land empfiehlst Du Frauen, die das erste Mal allein oder mit Freundinnen/Freunden nach Afrika reisen?

Was die Infrastruktur angeht, ist Ghana sehr einfach. Auch Gambia ist gut zu bereisen, da es ein kleines Land ist. Beide Länder sind zudem englischsprachig. Ruanda wiederum gilt heute als eines der sichersten Länder in Afrika, ist touristisch aber nicht so erschlossen wie Ghana und Gambia. Mein persönliches Lieblingsland ist Sierra Leone, die Schweiz Afrikas. Ich liebe die Sprache dort, die schönen Strände, die Naturparks, das feine Essen und die wunderbaren Menschen. Generell würde ich das Reiseziel davon abhängig machen, was ich suche. In Ostafrika gibt es die grössten Parks, im französischsprachigen Senegal wiederum erlebt man wunderbare Gastfreundschaft. Ich persönlich finde ein Land ist immer so schön, wie die Menschen sind, die man dort trifft.

Pressefotos Danke Afrika Lena Wendt Mit ihren Samburu-Freunden und Dromedar Morty durch den Norden Kenias

 

Welche Reisetipps würdest Du geben.  

Du kannst nichts daran ändern, dass Du weiss bist und was Afrikanerinnen und Afrikaner deshalb über Dich denken. Viele von ihnen meinen leider immer noch, dass Weisse mehr wert sind als sie. Das kann man nur durch das eigene Verhalten etwas glätten. Ich finde es auch übergriffig zu glauben, dass man als weisser Mensch etwas verändern muss. Es bringt meiner Meinung nach ebenfalls nichts, ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man einen Pass, eine Krankenversicherung und genügend Geld hat, um sich etwas zu essen zu kaufen. Es gibt Leute, die mit einem voll beladenen Auto nach Afrika kommen und überall Geschenke verteilen.

Was spricht dagegen?

Stell Dir mal vor, wie es wäre, wenn Kongolesen oder Nigerianer vor deutschen Schulen Kinder beschenken würden? Das wäre nicht okay und würde den Eltern gar nicht gefallen. Eine Schweizerin gab mir mal einen guten Tipp. Sie traf auf ein kleines Mädchen, das nur mit einem alten, zerschlissenen Schal bekleidet war. Die Frau wollte ihr helfen, doch anstatt dem Kind ihr neues Tuch einfach zu schenken, schlug sie ihm vor, die Schals zu tauschen. Da die Kleine auch etwas geben konnte, begegneten sich die beiden auf Augenhöhe.
Ich würde empfehlen, zu überlegen, wie man auf angenehme Weise etwas geben oder hinterlassen kann. Es ist ja auch nicht gut, wenn Afrikaner denken, dass Weisse durch die Bank Geld haben und ständig alles verschenken können. Mein Fazit ist, dass Reisen nach Afrika für mich eine viel grössere Herausforderung darstellen als Besuche in anderen Ländern. Es macht sehr viel mit einem, führt dazu, dass man seine Glaubenssätze in Frage stellt.

Lieber einen Fahrer mietet oder mit Bussen reisen?

Ich würde immer raten, Afrika mit dem ÖV zu bereisen. Klar, kann man mit einem Auto bequem unterwegs sein und überall Stopps einbauen, wo man will. Der Bus dagegen fährt immer weiter, hält nicht da an, wo man gern fotografieren würde. Es kann auch nerven bei 45 Grad im Schatten zu warten, bis der Busfahrer noch den letzten Sitzplatz verkauft hat. Auch passiert es schon mal, dass die alte Frau hinter Dir in deine Haar fasst, weil sie mal die Haare einer Weissen berühren wollte. Oder das Kind neben Dir übergibt sich. Dafür trifft man in Bussen auf grossartige Menschen, die einen spontan einladen und die vielleicht zu Freunden werden. Man erhält ein ganz anderes Bild von Afrika, wenn man erfährt, dass andere bei 50 Grad arbeiten oder Gemüse auf dem Kopf zum Markt tragen müssen. Noch ein ganz einfacher Ratschlag: Ein Lächeln und interessierte Fragen sind der beste Einstieg, um mit den Leuten in Afrika auf gute Weise in Kontakt zu kommen.

Pressefotos Danke Afrika Lena Wendt Wenn aus Bekannten Freunde werden

 

Und was sollte man möglichst vermeiden?

Gib niemals jemandem Deine linke Hand, denn mit ihr putzt man den Hintern. Iss auch niemals mit der linken Hand, vor allem wenn man sich mit anderen aus einem Teller nimmt. Schenken, weil man denkt, dass die Leute in Afrika nichts haben, finde ich wie bereits angedeutet, nicht gut. Tauschen ist viel besser und man erhält so viel zurück. Jeder noch so arme kleine Bub kann eine Kokosnuss vom Baum holen oder ein Gedicht aufsagen. Deutsche Forschheit und Ungeduld sind Afrika ebenfalls nicht angebracht, schon gar nicht an Grenzübergängen oder bei Begegnungen mit der Polizei. Was stattdessen weiterhilft sind Geduld und Humor. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass man niemanden in Versuchung führen sollte, etwa was Geld angeht. Ein Ex-Freund und ich hatten vor Jahren eine extreme Erfahrung machen müssen. Wir waren zusammen mit Afrikanern am Strand eines Surfcamps und hatten Geld in unserem Campingbus offen herum liegen lassen. Als wir feststellen, dass etwas davon fehlte, informierten wir den Lagerleiter. Der holte einen Magier, der mit Hilfe schwarzer Magie den Schuldigen finden wollte. Es war sehr unschön. Solche Situationen sollte man unbedingt vermeiden, denn Gelegenheit macht immer Diebe, egal wo, auch in Deutschland oder in der Schweiz.

«Danke, Afrika! Was ich zwischen Dschibuti und Marokko fürs Leben lernte» von Lena Wendt, Copress,
28.90 Franken/15.99 Euro
lena-wendt.com

Fotos: Lena Wendt